"Es gibt nur wenige Möglichkeiten, dem Alltag zu entfliehen: Man verliebt sich, man begibt sich auf eine Reise oder nimmt ein gutes Buch zur Hand. Ich versuche, dies alles zu verbinden und entführe Sie mit meinen Geschichten in eine Epoche, die den 'Roman' und die 'Romanze' zu Recht in ihrem Namen trägt:

Die Romantik."

 

Als ich zu schreiben begann, waren die Geschichten nur Erinnerungen an vergangene Reisen. Langsam entwickelten sich darin aber einzelne Charaktere, gewannen mit jeder neuen Seite an Fülle und Leben und waren bald so eigenständig, dass sie mir immer wieder entglitten. Nach und nach entstand aus diesen Anfängen ein ganzes Universum. Aus einem Buch wurden drei und Ideen für viele weitere.

Beeinflusst vom Trend der Zeit - den Serien und Fortsetzungsromanen -, entstand plötzlich die Idee, auch meine Helden und Schurken nicht einfach durch neue zu ersetzen. Dazu hatte ich sie inzwischen auch viel zu lieb gewonnen. Andererseits spielt das erste meiner Bücher, die Juwelendiebin, in England 1835. Und das zweite, die Diamantenprinzessin, war über die Hälfte hinaus fertig - 1814! Was also tun? Die Liebespaare waren zu jung, und so bot sich aus der Juwelendiebin nur eine Person wirklich an: Viscount Stutton - den Vornamen Hieronymus erhielt er von mir gleichzeitig mit seinem neuen Titel - "Der Henker des Königs." Dabei ist der Lord Stutton meiner Juwelendiebin eigentlich ein tragischer Held und einer der "Bösen". Aber gerade das macht ihn erst zu dieser wunderbar menschlichen Figur - mit einem gravierenden Nachteil: Er war nachträglich schwer in die Diamantenprinzessin zu integrieren und spielt deshalb darin nur eine Nebenrolle. Sein nächster großer Auftritt erfolgt dafür in der Piratenperle - gemeinsam mit dem jungen William Holden, dem später so starrköpfigen Meisterspion aus der Diamantenprinzessin.

 

Eines aber war mir sehr wichtig: Alle Bücher sind in sich abgeschlossen und in beliebiger Reihenfolge zu lesen.

Damit auch Sie Lord Stutton ein wenig besser kennenlernen, möchte ich ihn mit zwei kurzen Textpassagen vorstellen.

Aus der JUWELENDIEBIN:

 

London 1835

Beim Beobachten der blassen Frau geisterten Stutton einmal mehr die verhassten Bilder aus dem Etablissement der ermordeten Madame durch den Kopf. Sein ganz persönlicher Teil des Dramas. Dieses zierliche, unbefleckte Mädchen, für dessen Erziehung er ein kleines Vermögen hingeblättert hatte. Und das gleich nach der ersten gemeinsamen Nacht verschwunden war. Einer Nacht, so erregend, düster und grauenvoll wie ein höllischer Opiumrausch – der unbarmherzig das böse Erwachen gefolgt war.

Praktisch folgen musste.

Tief verborgene Schuldgefühle bahnten sich ihren Weg. Vielleicht, weil er in dieser Miss Lennox eine vage Ähnlichkeit zu erahnen glaubte, auch wenn sie deutlich stärker und um vieles älter war. Sechs Jahre war es jetzt her. Das kleine, verschreckte Ding wäre gerade um die Zwanzig, rechnete er nach.

Falls es überhaupt noch am Leben war.

Er vermochte nicht zu sagen, ob er sie erkennen würde, hatte er sie doch nur zweimal gesehen. Wobei – genau genommen hatte er dabei nicht einmal sie gesehen, sondern nur, was er in ihr sehen wollte: Einen verlockenden Gegenstand, nicht mehr. Ein hübsches Spielzeug. Etwas, dass er unbedingt Besitzen musste.

Bis er wieder einigermaßen klar denken konnte, war es längst zu spät gewesen. Danach folgten die ganzen unsinnigen Beteuerungen.

Wäre sie nicht so kokett gewesen.

Hätte sie nicht um vieles reifer gewirkt.

Hätte ihm die sinnliche Atmosphäre dieses Hauses der Lüste nicht den letzten Rest Verstand geraubt.

Gleichzeitig hatte er aber genau gewusst, dass sie gar keine andere Wahl hatte, als zu gefallen; dass sie massiv manipuliert worden war. Dass sie noch unberührt gewesen war.

Wäre es nicht er gewesen, hätte sie zweifellos ein anderer genommen. Und doch konnte er seine Schuld weder abwälzen, noch teilen.

Nein, höchstwahrscheinlich würde er sie nicht erkennen. Sie war noch zu sehr Kind gewesen.

 

 

 

Ein erster Auszug aus der PIRATENPERLE:

 

London 1805

"Viscount Stutton, Mylord."

Lord Dundas stand am Fenster und blickte hinaus zum St. James Park, als der Ordinanzoffizier den Mann eintreten ließ. Er reagierte lange nicht, denn die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, wogen einfach zu schwer. Draußen dämmerte erst der Abend, aber er fühlte sich nach diesem langen Tag bereits entsetzlich müde und ausgebrannt. Womöglich scheute er sich aber nur vor der Entscheidung, die er gleich treffen musste. Doch welche Alternative gab es? Er wusste keine – und winkte seinen Gast zu sich.

Als Stutton zwei Schritte hinter ihm stehen blieb, wandte er sich endlich um. Die Überraschung, die der Anblick des unerwartet jungen Mannes heraufbeschwor, konnte er kaum verbergen. Wenn er aber eines in seiner langen politischen Laufbahn gelernt hatte, dann, dass man Menschen nie nach dem äußeren Erscheinungsbild beurteilen durfte. Stutton mochte jung an Jahren sein, vielleicht sogar noch jünger aussehen, als er tatsächlich war. Aber er erkannte in dessen Augen eine Kälte, die ihn kurz schaudern ließ. Dieser Mann würde seinen Weg gehen. Dafür hatte er ein untrügliches Gespür.

Für gewöhnlich schrieb er diese Kälte dem Krieg zu, der aus den jungen Männern rasch harte, gefährliche Werkzeuge schmiedete, die mit Feuereifer töteten. Doch dieser Mann hier war anders. Stutton war bestimmt kein Krieger, der sich von den Ereignissen mitreißen ließ. Der seine Taten blindem Patriotismus zuschrieb oder gar damit prahlte.

"Mylord." Stutton verneigte sich weit respektvoller, als es einem gleichrangigen Peer zustand. Aber Henry Dundas hatte so großen Einfluss auf die englische Politik, speziell auf die schottische, dass ihn manche den "ungekrönten König Schottlands" nannten. Er war nicht nur zwei Jahrzehnte lang Schatzmeister der Royal Navy gewesen, sondern auch in Premierminister Pitts erstem Kabinett Kriegsminister. Und es war genau diese Verbindung zu William Pitt, weshalb Stutton nun hier stand.

"Entschuldigen Sie, Stutton, aber es war ein schwerer Tag." Dundas streckte dem Jüngeren die Hand hin. "Kommen Sie, nehmen Sie einen Brandy mit mir."

Stutton folgte dem Viscount zu einer eleganten Sitzgruppe.

"Zigarre?" Dundas bot ihm die Schachtel an und Stutton griff ohne Zögern zu. Mit Kennerblick wählte er eine der Kubanischen und erntete dafür ein anerkennendes Nicken. Die neue Mode des Zigarrerauchens hatte Stutton sich bei Brook’s angewöhnt, um im Kreis der älteren Herren mitzuhalten. Das es ihm im Grunde gar nicht schmeckte, änderte wenig daran. Sobald beide Zigarren brannten kam Dundas zur Sache.

"Kennen Sie Sir Sidney Burgess oder seine Patenkinder? Wenn ja, dann suche ich mir jemand anderen, der –"

Stutton konnte Dundas’ Skrupel förmlich fühlen, und das machte ihm diesen Mann gleich sympathischer. "Gottlob nein, ich kenne niemanden davon, Sir. Aber selbst wenn, hätte es nicht den geringsten Einfluss auf meine Arbeit." Höchstens auf mein Gewissen. Aber das behielt er für sich.

Kurz sah Stutton dem schweren Rauch hinterher, ehe er den Blick auf den Mann gegenüber richtete. Viel zu oft hatte er inzwischen diese unbehagliche Situation erlebt, in der ein Bekannter, oder, weit schlimmer noch, vielleicht sogar ein enger Freund des Verrats bezichtigt worden war. Doch woher sollten die Anschuldigungen sonst kommen, wenn nicht aus dem engsten Umfeld?

Stutton beschloss, es kurz zu machen. "Im Großen und Ganzen bin ich informiert, Sir. Ich frage mich allerdings, wie die jungen Damen ins Bild passen? Man hat mich bereits mehrmals nachdrücklich darauf hingewiesen, ganz besonders auf ihren Ruf zu achten."

"Das verdanken wir zweifellos Vizeadmiral Nelson. Der Vater der Damen war Captain Burgess, ein sehr guter Freund des Admirals. Er fiel bei der Seeschlacht von Abukir. Nelson versprach ihm am Sterbebett, eine schützende Hand über Miss Violet und Miss Rosebelle zu haben. Wenn Sie so wollen, sind die beiden jungen Damen so etwas wie die Maskottchen von Nelsons Flottenverband. Vor zwei Jahren haben sie sogar eines der neuen Linienschiffe getauft."

"Ich verstehe." Und Stutton verstand wirklich. Er wusste nun, dass er sich hier auf eine haarige Sache einließ, die von den unterschiedlichsten Seiten mit Argusaugen beobachtet wurde. Doch anstatt ihm zu missfallen, reizte ihn dieser Aspekt. Nie zuvor stand seine heimliche Tätigkeit derart im Rampenlicht.

Er war eben nicht irgendein Mitglied des Innenministeriums, das sich mit der Abwehr von Spionen befasste. Er war der Vollstrecker. Seine Fälle endeten nicht vor Gericht, da er ausschließlich Mitglieder des Adels verfolgte, die aus den mannigfachsten Gründen mit dem Feind sympathisierten. Wenn ausreichende Beweise vorlagen, zogen diese Männer es in der Regel vor, sich selbst zu richten – oder sie erlitten einen bedauerlichen Unfall. Beides bewahrte ihre Erben vor dem Skandal und der Schmach, die ihrem Namen sonst gedroht hätte. Gott war sein himmlischer Zeuge, dass er niemals vorschnell urteilte. Doch auf Erden war er nur dem Prinzregenten, dem Premierminister und dem Innenminister verantwortlich.

Es herrschte Krieg und die Stabilität der englischen Gesellschaft war zu fragil, um sie durch langwierige Prozesse und das Waschen schmutziger Wäsche zu gefährden.